‘Ausdruck seines Ursprungs‘ – Der Künstler Peter August Böckstiegel
31.08.2018 - 21.10.2018
Ausdruck seines Ursprungs zu sein, gilt Peter August Böckstiegel als das Beste, was einem Künstler gelingen kann. Seine eigene Herkunft aus einer Familie vonKleinbauern prägt früh seinen Blick auf die Welt. Als Künstler verleiht er seinemUrsprung zeitlebens Ausdruck: In Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen undDruckgrafiken werden die Landschaften und das Elternhaus in Arrode – hier wurdeer am 7. April 1889 geboren – aber auch das Leben der Bauern und die Familiezu seinen wichtigsten Motiven. Auf seinen Ursprung beruft er sich in Bildern,aber auch in seiner Sprache: Die Echtheit, Ehrlichkeit des Schaffens macht das Kunstwerk. Wie die Biene den Honig von Blüte zu Blüte sammelt, genau so muss der Gestalter alle Regungen der Natur in sich aufnehmen. Menschlicher Inhalt, strahlende Farbe und bindende Form sind meine Schaffensgesetze. Später vergleichter seinen pastosen und unmittelbaren Farbauftrag mit Ackerschollen oderberichtet von zwei seiner wichtigsten Modelle, den alten Bauern Thorlümke undSussieck, sie hätten wie große Erdenklumpen, verwittert und verwurzelt im Boden vor ihm gestanden.Nach einer Lehre als Maler, gefördert durch seinen Lehrer Ludwig Godewols,studiert Böckstiegel ab 1907 an der Bielefelder Kunsthandwerkerschule Malereiund begeistert sich früh für die Kunst seiner Zeit. Voller Bewunderung für dieExpressionisten der „Brücke“ und für den „Vater der Moderne“, Vincent van Gogh,entwickelt er ein farbglühendes malerisches Frühwerk. Die „Sonderbund-Ausstellung“1912 in Köln wird zu einem Wendepunkt in seinem Schaffen, seine Zeichnungen,aber auch seine Gemälde befreien sich von der Wiedergabe des Gesehenen.Auf Zeichnungen umreißen wenige kraftvolle Linien das Motiv, während dieGemälde von nun an fast ganz aus der Farbe entwickelt sind. Böckstiegel wird fürWestfalen einer der wichtigsten Vertreter dieser jungen Generation von Künstlern,deren künstlerischer Horizont weit über seine Heimat hinaus reichte. Sein
Freund Heinrich Becker, der Leiter des Städtischen Kunsthauses in Bielefeld, fasst es so zusammen: Wie er seine Briefe, von drängender Beredsamkeit in sehr persönlichemStil diktiert, mit der Rohrfeder auf große Bogen schrieb, so bedurfte auchdie malende Hand der großen Fläche. Die größte Wand hätte ihn nicht kleinlautgestimmt. So nötigt auch alles, was er geschaffen hat, zur Fernsicht. Erst ausgenügender Entfernung wachsen seine Bilder zu einheitlicher Form zusammen. In der Hoffnung, sein Studium im Geiste des Expressionismus fortsetzen zu können, zieht Peter August Böckstiegel 1913 nach Dresden – hier hat sich 1905 die Künstlergruppe „Brücke“ gegründet. Doch an der Akademie herrscht Schulmeisterei,ohne eine lebendige Geisteswelt. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutet auch für Böckstiegels Biografie eine Zäsur, ein Selbstbildnis dieser Zeit kommentiert er mit den Worten zum Leiden bin nun ich geboren. Von 1915 bis zum April 1919 wird der Künstler zum Soldat. Dennoch kann er künstlerisch tätig bleiben, malt den Alltag der Kameraden, aber auch die Menschen und Landschaften, die ihm zunächst in Schlesien, dann in Russland, Rumänien und am Schwarzen Meer begegnen. Nicht der Krieg weckt dabei sein Interesse, vielmehr die menschlichen Schicksale auf beiden Seiten der Front. Seine Rückkehr nach Dresden im April 1919 bedeutet eine Befreiung: Zunächst engagiert er sich in der avantgardistischen „Dresdner Sezession“, gemeinsam mit Otto Dix und Conrad Felixmüller. Dessen Schwester Hanna heiratet er im Juli. Dann gibt er seinem Leben einen neuen Rhythmus: Die Zeit zwischen Ostern und der Ernte wird er in seinem Elternhaus verbringen, im Winter wird Dresden sein künstlerisches Refugium. Doch auch dort begleitet ihn Arrode, vor allem in seinem grafischen Schaffen. Im Winter 1920/1921 erreicht es mit der Grafikmappe „Bauernleben“ einen frühen Höhepunkt. Wie eine Quintessenz seines Schaffens versinnbildlichen die „Bauern im nächtlichen Gewitter“ in ihrer kraftvollen Zeichnung, der expressiven Farbigkeit und der spürbaren Anteilnahme des Künstlers seine „Schaffensgesetze“ – „Menschlicher Inhalt, strahlende Farbe und bindende Form“. In Dresden wird Böckstiegel seine Werke nun alljährlich auf Ausstellungen und in Galerien zeigen, er steht mit vielen Künstlern in Kontakt und präsentiert seine Werke auch in anderen Städten, darunter Hamburg, Darmstadt und Berlin; 1924 nimmt er an der „Ersten allgemeinen deutschen Kunstausstellung“ in Moskau teil. Verkäufe in öffentliche Sammlungen belohnen Böckstiegels reges Werben um Anerkennung. Zugleich gewinnt er treue Kunstfreunde, darunter in Bielefeld den Kaufmann Otto Lorentz und den Gold- und Silberschmied Rudolf Feldmann, in Dresden den Fabrikanten Willy Bethke, den Rechtsanwalt Fritz Salo Glaser oder den Kaufmann Felix Protze. Böckstiegels Motivwelt bleibt das „Bauernleben“. Er ist jedoch alles andere als ein Bauernmaler, der ein idyllisches Landleben mit idealisierten Bauern vor erdachter Kulisse zeigt. Böckstiegels Bauern sind Landarbeiter, sie trotzen dem Land ihren Lebensunterhalt ab. Zeit für den Künstler haben sie allein in Momenten der Ruhe, am Feldrand, wenn sie Schutz vor Hitze oder Regen suchen oder wenn sie am Abend zusammenkommen, in der gelebten Gemeinschaft von Familien und Generationen. Die alten Bauern der Nachbarschaft und besonders seine Eltern werden für Böckstiegel zum Sinnbild des Menschentums, ihren markanten Gesichtern und von Arbeit gezeichneten Händen gilt sein künstlerisches Interesse besonders. Doch als freischaffender Künstler ist Böckstiegel auf den Verkauf seiner Bilder angewiesen. Seine Motive sind vielen Kunstsammlern fremd, sie teilen Böckstiegels Verbundenheit nicht. Ebenso reagieren die Dresdner Künstler, auch aufgrund seiner monatelangen Abwesenheit, zunehmend irritiert auf die immer gleichen, zu Ausstellungen eingereichten Motive Böckstiegels und seine schon zuvor von Kritikern gescholtene Malwut oder Farbenkreischerei. Er umgibt sich nur ungern mit Kunsthändlern, oder, wenn auch um ihre Anerkennung bemüht, mit den Kunstverdrehern, also Kunsthistorikern und Kunstkritikern. Und oftmals hält er bei Interesse wichtige Werke zurück, um sie bei vertrauten Kunstfreunden, inmeiner westfälischen Heimat zu wissen. Ab 1925 erobert eine neuer, realistischer Stil die Ateliers und Galerien. Es ist die Malerei der „Neuen Sachlichkeit“, die in Dresden mit Otto Dix ihren wichtigsten Vertreter hat. Wie der Expressionismus geraten auch Böckstiegels Motive zunehmend aus dem Blick der Avantgarde. In dieser Zeit beginnt Böckstiegel eine zaghafte, aber spürbare Entwicklung in seinem Werk, die Farben werden toniger gesetzt, der Farbauftrag malerischer und die Komposition beruhigter. Auch seine Motive wandeln sich: Der Tod seiner Mutter 1929 und seines Vaters 1931 nimmt ihm zwei seiner wichtigsten Modelle. Für lange Jahre beherrschen große Blumenstillleben und Landschaftsdarstellungen, fast immer menschenleer, sein Werk. Diese Sujets haben Böckstiegel von Beginn seiner künstlerischen Laufbahn an begleitet, in diesen Jahren werden sie für ihn essentieller Teil seines wirtschaftlichen Erfolges. Die Zeit der NS-Diktatur verunsichert Böckstiegel zutiefst. Schon im April 1933 wird sein bis heute verschollenes „Bauernkind mit Äpfeln“ aus den Dresdner Kunstsammlungen entfernt. Mehrere seiner Werke werden auf Femeausstellungen gezeigt und 92, fast alle seine Werke in deutschen Museen, im Sommer 1937 als „entartet“ aus den Sammlungen geraubt. Dennoch nimmt Böckstiegel in den 1930er Jahren an vielen Ausstellungen teil. Er hält sein Frühwerk zurück und zeigt vornehmlich Druckgrafik und Blumenstillleben, allesamt in Motiv und Stil „unverdächtige“ Werke. Ohne sich dem Kunstgeschmack der Machthaber künstlerisch zu nähern, hofft er mit diesen Werken auf eine unbehelligte Fortsetzung seines Schaffens. Vor allem seine Kunstfreunde unterstützen Böckstiegel in dieser Zeit. Als Auftragsarbeiten bietet er ihnen die Gestaltung von Grabstätten, Glasfenster und Mosaike an, allesamt Versuche, ein wirtschaftliches Auskommen mit künstlerischer Kreativität zu verbinden. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges geht die unbeschwerte Sommerfrische der Familie in Arrode verloren. Die Bedrohungen des Krieges machen ein unbeschwertes Leben und Arbeiten dort unmöglich. Und obwohl Böckstiegel Vorkehrungen trifft, vernichten die verheerenden Bombenangriffe auf Dresden im Februar 1945 sein Atelier am Antonsplatz und viele seiner Werke: Arbeiten auf Papier und Leinwände, Druckstöcke und Radierplatten, sogar seine Staffeleien und Malmaterialien werden zum Opfer der Flammen. Seine im Keller eingelagerten, stark beschädigten Plastiken wird Böckstiegel vier Jahre später bergen. Menschlich erschüttern ihn diese Erlebnisse schwer. Die erzwungene Rückkehr in sein Elternhaus bringt Böckstiegel in eine vom Krieg schwer getroffene und kulturell am Boden liegende Heimat. In Arrode arbeitet Böckstiegel zunächst nur im Atelier, dann entstehen Blicke aus den großen Fenstern und schließlich kommt das Landschaftsbild zurück in sein Werk. Erst kurz vor seinem Tod knüpft er mit neuen Gemälden und der Werkgruppe von Porträts der nach Werther gekommenen Flüchtlinge an sein künstlerisches Schaffen der 1920er Jahre an. Der Künstler jenseits der Grenzen, mit den Beinen auf derwestfälischen Erde, mit der Sehnsucht in Dresden, hat ab 1950 die Chance, wieder an der Elbe Fuß fassen zu können. Böckstiegel eröffnet noch eine große Einzelausstellung in den Kunstsammlungen und begegnet alten Künstlerfreunden, dann setzt ein Herzschlag am 22. März 1951 diesen Plänen ein Ende.