Mia Weinberg - Fractured Legacy
15.09.2021 - 19.12.2021
Mit „Fractured Legacy“, einer zwischen 1993 und 1997 entstandenen Installation der Künstlerin Mia Weinberg, beginnt für das junge Museum Peter August Böckstiegel ein neues Kapitel. Zum ersten Mal wird hier zeitgenössische Kunst ausgestellt, das Werk findet seinen Platz im „Studio“ des Museums.
Mia Weinberg ist in London zur Welt gekommen. Ihre Ausbildung zur Künstlerin erhielt sie in Kanada. Heute lebt sie in Vancouver. Ihre Werke können multimedial, installativ, partizipativ oder kontextuell sein – ihr Leben und Werk könnten so auf den ersten Blick kaum mehr Gegensätze zum Künstler Peter August Böckstiegel bieten. Doch die Familie Weinberg war lange mit dem Künstler bekannt. Mias Großvater, Julius Weinberg, unterstützte Böckstiegel seit den 1920er Jahren durch Ankäufe.
Die Installation „Fractured Legacy“ – das „zerbrochene Vermächtnis“ – handelt von der Geschichte dieser Familie Weinberg und von den Wurzeln der Künstlerin Mia Weinberg. In diesem Werk begegnen uns die Vorfahren der Künstlerin aus ihrer über viele Generationen in Werther ansässigen Familie, darunter angesehene Mitglieder der Gemeinde, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreiche Kaufleute und Unternehmer waren. In Werther gab es zu dieser Zeit eine jüdische Gemeinde, eine Synagoge, einen jüdischen Friedhof. Die meisten Spuren davon sind der Diktatur der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen. Auch in Werther erlebte die jüdische Bevölkerung Ausgrenzung und Gewalt, sie wurde zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen oder gefangen genommen und in Konzentrationslagern ermordet. Auch in Werther gab es Menschen, die diese Verbrechen guthießen und sich sogar daran beteiligten.
Sie tauchen in der Installation nicht auf. Sie stören die Begegnung der Betrachter mit der Familie nicht. Doch durch die Worte von Kurt Wilhelm Weinberg, durch seine Geschichten und Erinnerungen, tauchen ihre Taten auf. Aufgenommen wurde das Gespräch zwischen Vater und Tochter während einer gemeinsamen Reise – sie besuchten 1994 mehrere Orte in Werther, die in der Familiengeschichte eine Rolle spielen. Die Künstlerin begab sich auf die Spur der eigenen Herkunft und wurde von ihrem Vater begleitet auf der Suche nach der eigenen Identität: Was verbindet sie mit Werther? Was mit den allein durch historische Fotografien bekannten Vorfahren, die bis zur erzwungenen Aufgabe der Geschäfte 1938 eine Zigarrenfabrik im „Haus Werther“ betrieben? Wie bestimmt die Geschichte der Familie ihren Weg als Künstlerin, ihre Identität, ihr heutiges Leben? Und wie verhalten wir uns zu unserer Geschichte, wenn in der Installation heute verlorene Orte jüdischen Lebens in Werther auf unsere Körper projiziert werden und wir gleichzeitig von Vertreibungen und Ermordungen hören? Auch wir sind Teil dieses Vermächtnisses.
Das Museum wird zu einem Ort, der die Auseinandersetzung mit Geschichte nicht nur ermöglicht, sondern sie ausdrücklich herausfordert. Das Museum ist somit nicht nur ein Ort der Betrachtung schöner Dinge, der Beschäftigung mit Kultur und der Kommunikation über Kunst, ein Ort des Vergnügens oder des Lernens – es ist auch ein politischer Ort.
Das Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Spuren jüdischen Lebens in Werther“ und wird unterstützt vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, das es als Teil des Förderprogramms VITAL.NRW unterstützt und somit überhaupt erst möglich gemacht hat. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache.
Fractured Legacy, Mia Weinberg‘s installation, which took shape between 1993 and 1997, marks the beginning of a new chapter in the history of the young Museum Peter August Böckstiegel. For the first time we are able to present art which is truly contemporary. It will be displayed in the Museum‘s “Studio”.
Mia Weinberg was born in London. Her training as an artist took place in Canada. She now lives in Vancouver. She uses multi-media techniques, installations, participatory and contextual approaches; in other words, the contrast between her life and work and Peter August Böckstiegel’s could at first sight not be greater. And yet the Weinberg family were well acquainted with Böckstiegel. From the 1920s onwards Julius Weinberg, Mia’s grandfather, supported Böckstiegel by buying several of his pictures.
Fractured Legacy is about the Weinberg family and about Mia’s, the artist’s, roots. We encounter her ancestors, members of a family that had lived in Werther for generations, some of them highly respected and, at the beginning of the 20th century, successful merchants and entrepreneurs. At the time Werther had a Jewish community, a synagogue, a Jewish cemetery. The Nazis saw to it that there are hardly any traces left of all this. In Werther, as in so many other places, the Jewish population faced discrimination and violence. They were forced to leave their homes, arrested and murdered in the concentration camps. In Werther, as in so many other places, there were people who approved of these crimes or even took part in them.
These do not figure in the installation. They are not allowed to interfere with the public’s encounter with the Weinberg family. But they are present in Kurt Wilhelm Weinberg’s, the artist’s father’s memories in a conversation between father and daughter recorded in 1994, when the two visited several places in Werther which play a significant part in the family’s history. Mia, the artist, was trying to trace her origins and in this search for her own identity was accompanied by her father: what is there that connects her with Werther and with her ancestors, whom she only knew from old photographs and from the fact that until 1938, when they were forced to close down the business, they ran a cigar factory in “Haus Werther”? To what extent is her career as an artist, her identity and her current life determined by the Weinberg family history? And how do we react to this history when as part of the installation former scenes of Jewish life are being projected onto our bodies and we hear of evictions and murders? We too are part of this legacy.
The Museum thus becomes a place which not only makes it possible for us to confront our past, it also explicitly forces us to do so. As a result, it is much more than simply a place where we admire beautiful things or indulge in the study of culture and communication about art, a place of enjoyment and education: it acquires a political dimension.
The exhibition has been planned with the study group “Traces of Jewish Life in Werther” and thanks to the funding of the North Rhine Westphalian Ministry of Environment, Agriculture, Nature and Consumer Protection, which has supported it through its VITAL.NRW funding programme. A catalogue has been pusblihed (german/english).